Die Geschichte des sehbehinderten Fotokünstlers
Guido Klumpe
„Es ist nicht entscheidend, wieviel man sieht. Es ist entscheidend, wie man sieht und das Gesehene zeigen kann."
Der international erfolgreiche und sehbehinderte Fotokünstler aus Hannover zeigt die Skurrilität und verborgene Schönheit unserer Städte.
Die Arbeiten von Guido Klumpe bewegt sich zwischen Street- und abstrakter Architekturfotografie. Seine Bilder komponiert der Fotograf im urbanen Raum und so minimalistisch, dass sie dem Betrachter Rätsel aufgeben. Alle Aufnahmen sind ungestellt und in der Öffentlichkeit entstanden.
URBANITÄT
Klumpes Fotografien entstehen alle im urbanen Raum. Dabei nutzt er das, was Stadtlandschaften zu bieten haben: Formen, Flächen, Farben, Reflektionen, Licht und Schatten. Dafür ist der Fotograf viel unterwegs, vor allem bei hellem Sonnenschein. Diese Lichtsituationen sind für ihn besonders interessant, denn so entstehen seine leuchtenden Farben und starken Kontraste.
Gerade Stadtteile, die von funktionaler Architektur geprägt sind, ziehen ihn an: Bahnhöfe, Einkaufszentren, Tankstellen und Ähnliches. Orte, an denen sich die meisten Menschen entweder nur kurz aufhalten, um etwas zu erledigen, oder die sie nur durchqueren. Guido Klumpe entlockt ihnen eine besondere Ästhetik, Schönheit und Poesie.
In der Stadt ist er umgeben von Situationen und Szenarien, aus denen er Fotokunst macht. Er entdeckt sie gerade im Banalen und schält sie aus dem Chaos der urbanen Umgebung heraus. „Kunst ist überall“, sagt er. Hat er einen Ort mit Potential entdeckt, beginnt für ihn der Prozess des Herausarbeitens. Er sucht nach dem, was nicht sofort offensichtlich ist, was eine Geschichte oder ein Rätsel enthält. Er erforscht Möglichkeiten, verschiedene Ebenen zu verbinden, Elemente zusammenzusetzen und Neues zu erschaffen. „Die Stadt ist für mich eine Art Legoland.“ Dabei arbeitet der Fotograf mit einer Fuji X-T5 und ständig wechselnden Brennweiten.
MINIMALISMUS
Minimalismus ist für Klumpe kein ästhetischer Selbstzweck, sondern grundlegend. Er reduziert seine Bilder auf das Wesentliche, um den Betrachter durch Blickwinkel und -richtungen sowie Bildebenen zu führen und ihn stellenweise zu verwirren, denn der Fotograf möchte mit seiner Bildgestaltung die Art und Weise unseres Sehens hinterfragen. Ihn interessiert der Moment des Übergangs, in dem die dreidimensionale Architektur durch die Reduktion der optischen Bezugspunkte ins Zweidimensionale abstrahiert wird. Mittels Perspektive und Standpunkt setzt er die Gebäudeebenen
fotografisch zusammen: „Ich inszeniere mit fotografischen Mitteln. Ich bin wie eine Art Bühnenbildner, der Passanten zu Protagonisten macht“, sagt er.
Diese minimalistische Abstraktion wirkt manchmal etwas rätselhaft und hat einen Hintergrund: Klumpe ist von Geburt an stark sehbehindert. Auf dem linken Auge ist er blind, auf dem rechten sieht er nur 25 Prozent.
Ihm fehlt das räumliche Sehen und seine Nerven leiten nur wenige Informationen weiter. So kommt es zu einer Art Datenkompression, die ihn flächig und recht detailarm sehen lässt.
Sein Gehirn hat jedoch gelernt, die zweidimensionalen Informationen in ein dreidimensionales Konzept von Welt zu übersetzen: „Ich lebe sozusagen in einer simulierten Dreidimensionalität. Dieses Erlebnis der Verrätselung verarbeitete ich in meiner Arbeit und mache es mit meinen abstrakten Architekturfotografien den Betrachterinnen und Betrachter zugänglich.“
URBANER MINIMALISMUS – MINIMALISTISCHE URBANITÄT
Es ist nicht verwunderlich, dass ihn sowohl Fotografen wie Saul Leiter oder George Byrne als auch Maler wie Piet Mondrian, Mark Rothko oder Edward Hopper inspirieren. Guido Klumpe bewegt sich mit seiner Arbeit im Grenzbereich zwischen Fotografie und Malerei. „An manchen Tagen fühle ich mich weniger als Fotograf, sondern mehr als abstrakter Maler, der überlegt, wie er Farben und Formen in Beziehung setzen kann.“
DIE GESCHICHTE VON GUIDO KLUMPE:
Guido Klumpe war 16 Jahre alt, als er seine Passion für die Fotografie entwickelte. Sein erstes Interesse galt der Konzertfotografie. Nur wenig später reiste er durch Südostasien und entdeckte dort die Magie der Street Fotografie. Zurück in Deutschland war es vollkommen klar: Guido Klumpe wollte Fotokünstler werden. Doch er hatte bei seinen Plänen die deutsche Bürokratie unterschätzt. Bei der Berufsberatung sagte man ihm, dass er auf keinen Fall Fotografie studieren könne.
Seit seiner Geburt ist Guido Klumpe auf der linken Seite blind. Auf der rechten Seite hat er ein Sehvermögen von 25 Prozent. Seine Wahrnehmung ist zweidimensional und erfasst nur wenig Details. „Für mich ist die Welt wie ein Internetvideo mit geringer Datenrate. Sehe ich ein Gesicht, erkenne ich manche Einzelheiten. Gesichter in einer Menschenmenge sind nur Flächen“. Und genau das war das Ausschlusskriterium für das Studium der Fotografie. Als sehbehinderter Mensch sei er nicht geeignet für das Studium, sagte man ihn. Er könne ja Masseur oder Telefonist werden.
Zwangsläufig ging Klumpe beruflich vorerst andere Wege als Sozialarbeiter im Bereich der psychosozialen Beratung, is er eines Tages eine Dokumentation über bekannte New Yorker Street Fotografen sah, die ihn an seine alte Passion erinnerte. Es wurde ihm klar, dass sein „anderes sehen“ eine Besonderheit mit sich bringt. Er verstand, dass er selbstverständlich als Fotokünstler arbeiten kann, dass er es nur machen muss. Und er erkannte, dass jeder alles kann. Nur eben auf seine ganz eigene Art.
Guido Klumpe kaufte sich eine Kamera, zog durch die Straßen und machte in den vergangenen Jahren Fotoserien, die heute internationale Beachtung finden. Seine minimalistischen Architektur- und Street Fotografien werden in zahlreichen Ländern gezeigt und gewinnen viele Auszeichnungen. Guido Klumpe sagt dazu: „Mittlerweile weiß ich, dass es in der künstlerischen Fotografie nicht darum geht wieviel man sieht. Vielmehr geht darum, wie man sieht und wie man das Gesehene umsetzt. Durch die Fotografie gehe ich an und über die Grenzen meines Sehens“.